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Lieferkettengesetz, Menschenrechte und CSR-Compliance

1. Worum geht es?

Mit der Globalisierung hat die weltweite Vernetzung und Streuung von Lieferketten immer weiter zugenommen. Damit ging in aller Regel auch eine de facto sinkende Verantwortlichkeit nationaler Unternehmen für die Produktionsbedingungen ihrer Güter einher. Je mehr Bestandteile des Wertschöpfungsprozesses durch Outsourcing an internationale Anbieter ausgegliedert wurden, desto weniger Elemente der Lieferketten standen unter direkter Kontrolle der nationalen Unternehmen. In den letzten Jahren kehrte sich dieser Trend um: Nicht zuletzt durch den Druck der Öffentlichkeit sehen sich immer mehr Unternehmen in der Pflicht, Vorsorge für die Sicherstellung sogenannter CSR-Elemente, also Bestandteilen von Corporate Social Responsibility, in ihren Wertschöpfungsprozessen zu treffen. Medial präsente Fälle von Kinderarbeit, Menschenrechtsverstößen im Ausland oder der Ausbeutung natürlicher Ressourcen sorgen für Druck durch Marktteilnehmer, die von Unternehmen auch in globalen Lieferketten stärkere Verantwortung einfordern.

2. Aktuelle Entwicklung

Vor diesem Trend macht auch die Gesetzgebung nicht halt. Die Sicherstellung grundlegender Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltstandards geht über nationale Grenzen hinaus und verändert die Anforderungen, die an global tätige Unternehmen gestellt werden. In Deutschland ist momentan das sogenannte Lieferkettengesetz, inzwischen firmierend als Sorgfaltspflichtengesetz, in der öffentlichen Wahrnehmung besonders präsent. Ferner beschreiben aber auch zahlreiche andere Vorschriften, Entwicklungen und Standards Sorgfaltspflichten und Präventionsmechanismen zu CSR-Themen, sodass ein geordneter Überblick kaum noch möglich ist. Dabei ist vor allem zwischen verbindlichen Gesetzen und unverbindlichen Standards zu unterscheiden: Während Initiativen wie das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz, der UK Modern Slavery Act oder weitere europäische Vorhaben rechtlich verbindlich sind (oder werden sollen), existieren auch zahlreiche Bilanzierungsmethoden, Zertifizierungen, Reporting-Leitfäden, Empfehlungen und Grundsätze im rechtlich unverbindlichen Bereich. Eine Zwischenposition als „soft law“ kommt dem Deutschen Corporate Governance Kodex zu. Im Folgenden sollen die wichtigsten dieser Gesetze und Standards vorgestellt werden, um einen Überblick zu den vielfältigen Regelwerken zu ermöglichen.

3. Kurzdarstellung der Gesetze und Standards

3.1 UK Modern Slavery Act

Direkte Gesetzeswirkung kommt – wenn auch nicht jedem bewusst – dem UK Modern Slavery Act (UK-MSA) aus dem Jahre 2015 zu. Für Unternehmen, die im Vereinigten Königreich Geschäfte tätigen (also auch deutsche Unternehmen), gelten dessen Vorgaben. Hierbei ist bereits ausreichend, dass ein Gericht irgendeine Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich erkennt, unabhängig von deren Dauer oder wirtschaftlichem Umfang. Nach dem Gesetz müssen Unternehmen mit Jahresumsatz von mindestens 36 Millionen Pfund (umgerechnet ca. 40,5 Millionen EUR) gemäß Section 54 (1) UK-MSA jährlich über Maßnahmen Bericht erstatten, die im vergangenen Jahr ergriffen wurden, um sicherzustellen, dass Sklaverei und Menschenhandel nicht stattfinden. Dieser Bericht muss auf der Webseite des Unternehmens veröffentlicht werden. Hier ergeben sich deutliche Schnittmengen mit potenziellen Anstrengungen nach dem Sorgfaltspflichtengesetz, sodass gleich doppelter Handlungsbedarf bevorstehen kann.

3.2 Deutscher Corporate Governance Kodex

Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCKG), ein Rahmenwerk mit Best-Practice-Empfehlungen an gute Unternehmensführung, enthält seit seiner letzten Aktualisierung im Jahre 2020 den Grundsatz F.21: „Anteilseigner und Dritte werden insbesondere durch den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht (einschließlich CSR-Berichterstattung) sowie durch unterjährige Finanzinformationen unterrichtet“. Eine Einhaltung der Empfehlungen ist nicht verpflichtend, allerdings muss nach § 161 AktG bei börsennotierten Gesellschaften eine Entsprechenserklärung abgegeben und auf der Website veröffentlicht werden. In dieser müssen etwaige Abweichungen von den „Soll“-Vorschriften des DCGK angegeben und erklärt werden. Auch diese Vorschrift ist im Rahmen der CSR-Berichterstattung zu berücksichtigen.

3.3 Weitere Standards und Initiativen

Weitere rechtlich unverbindliche Standards und Initiativen im CSR-Bereich sollen nicht unerwähnt bleiben. Im Bereich „Reporting“ sind die Global Reporting Initiative (GRI), das Sustainability Accounting Standards Board (SASB) sowie der International Integrated Reporting Council (IIRC) hervorzuheben. Die GRI bietet ein umfassendes Rahmenwerk von Leitfäden zum CSR-Reporting (wie Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umwelt, Corporate Governance) an, wobei die Erfüllung dieser Leitfäden durch Wirtschaftsprüfer zertifiziert werden kann. Das SASB weist für 77 verschiedene Branchen spezifische Standards zum Reporting über Nachhaltigkeitsaktivitäten aus, die besonders mit ihrem Schwerpunkt auf Finanzthemen hervorstechen. Der IIRC verfolgt den Ansatz der integrierten Berichterstattung über nichtfinanzielle Themen bei der Bilanzierung von Unternehmen, wonach auch Nachhaltigkeitsbelange im gesamten ESG-Bereich in die Bilanzaufstellung eingebunden werden und so ein Gesamtbild nachhaltiger Kriterien entstehen soll. Alle diese Initiativen sind indes rechtlich unverbindlich und dienen als freiwillig zu beachtende Elemente eines CSR-Compliance-Systems.

Ferner gibt es auch ein reichhaltiges Angebot an Empfehlungen, Standards und Leitfäden für unternehmerische Tätigkeit in globalen Lieferketten. Herauszustellen sind der UN Global Compact, der deutsche Nachhaltigkeitskodex, der DIN ISO-Leitfaden 26000, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sowie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Allesamt formulieren sie Verhaltensempfehlungen an Unternehmen, die im Detail hier nicht erläutert werden sollen, aber durchaus als Handreichung für eine grundlegende CSR-Organisation sowie als Anknüpfungspunkt für die Standards von GRI und SASB dienen können.

4. Sorgfaltpflichtengesetz („Lieferkettengesetz“)

Noch in dieser Legislaturperiode könnte das Sorgfaltspflichtengesetz, oft noch „Lieferkettengesetz“ genannt, zur Umsetzung kommen. Dieses ist auf Initiative diverser zivilgesellschaftlicher Organisationen hin entstanden und wird vom Bundesarbeits- und Bundesentwicklungsministerium vorangetragen. Die ersten Eckpunkte des Gesetzes sind bereits seit Juni 2020 bekannt. Demnach sollen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern in Zukunft prüfen, inwieweit sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken, und angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen. Mögliche Risikofelder in diesem Kontext sind Zwangs- und Kinderarbeit, Diskriminierung, Arbeits- und Umweltschutzverletzungen. Unternehmen müssen dann ein entsprechendes Risikomanagementsystem entwickeln. Sie müssen „geeignete“ Maßnahmen zur Prävention ergreifen und einmal jährlich berichten, wie sie Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten verhindern. Die Angaben werden stichprobenartig oder im Verdachtsfall auf Plausibilität überprüft. Das zu ergreifende Risikomanagement soll verhältnismäßig und zumutbar sein. Kriterien wären somit zum Beispiel, ob die Risiken am eigenen Standort auftreten oder im Ausland, bei einem direkten Zulieferer oder am Ende der Lieferkette. Je näher die Beziehung zum Zulieferer und je höher die Einwirkungsmöglichkeit, desto größer die Verantwortung zur Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten.

5. Konkrete Empfehlungen für Unternehmen

Auch wenn die genaue Ausgestaltung des Sorgfaltspflichtengesetzes und der Zeitpunkt des Inkrafttretens im Einzelnen noch unklar sind, ist dessen Umsetzung nur eine Frage der Zeit und der konkreten Ausgestaltung. Auf allen regulatorischen und zivilgesellschaftlichen Ebenen – national, in der EU und weltweit – ist wie dargelegt eindeutig der Wille erkennbar, Unternehmen verstärkt für Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsthemen in die Pflicht zu nehmen. Dies entspricht den Erwartungen der Politik, der Stakeholder, des Marktes und damit auch der Shareholder hinsichtlich der ökologischen, sozialen und unternehmensinternen Verantwortung von Unternehmen, welche oft auch unter dem Sammelbegriff „Environment, Social, Governance“ (ESG) zusammengefasst werden.

Was sollten Unternehmen nun konkret tun? In jedem Fall sollten die Risikobereiche Zwangs- und Kinderarbeit, Diskriminierung, Arbeits- und Umweltschutzverletzungen sowie Nachhaltigkeit schrittweise in das bestehende Risikomanagement des Unternehmens integriert und bereichsübergreifend abgestimmt werden. Etwaige Compliance-Risikoanalysen sollten diese Risikobereiche miterfassen, um mögliche Schwachstellen frühzeitig zu identifizieren und konkreten Handlungsbedarf kenntlich zu machen. Dann werden Unternehmen deutlich besser auf die kommenden Anforderungen vorbereitet sein und notwendige Veränderungen langfristig planen können.

6. Sonstige Initiativen

Wie eingangs dargestellt, wird das Sorgfaltspflichtengesetz nicht die letzte regulatorische Auseinandersetzung mit CSR-Sorgfaltspflichten gewesen sein. Auf europäischer Ebene gibt es aktuell gleich fünf Initiativen, die sich mit unternehmerischen Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten auseinandersetzen. Es handelt sich hierbei um noch offene Diskussionsrunden um die Verantwortung von Unternehmen sowie verschiedene Aufforderungen an die EU-Kommission, einen Rechtsrahmen für nachhaltige Unternehmensführung einschließlich branchenübergreifender Sorgfaltspflichten von Unternehmen entlang der globalen Lieferketten vorzulegen. Ferner soll die EU-CSR-Richtlinie formell und materiell erweitert werden, sodass mehr Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen und Stakeholder-Interessen in ihre Erwägungen aufnehmen. Hierbei sind insgesamt deutlich strengere Anforderungen als nach dem deutschen Sorgfaltspflichtengesetz vorgesehen, wobei noch nicht klar ist, ob und in welcher Form diese Initiativen in konkrete Gesetzgebung münden werden.

7. Fazit

CSR-Elemente sind ein nicht mehr aufzuhaltender Trend, Unternehmen zu mehr Übernahme von Verantwortung in sozialer, ökologischer und organisatorischer Hinsicht zu drängen. Deutlich ist: Der Handlungsbedarf für Unternehmen bezüglich ihrer CSR-Organisation, dem Erfüllen von Sorgfaltspflichten und der Kontrolle der eigenen Produktionsbedingungen weltweit ist keine Frage des „Ob“ mehr, sondern nur noch eine Frage des „Wann“. Wer sein Unternehmen auf die bevorstehenden Gesetze und Initiativen, aber auch den allgemeinen Konsumenten- und Investorendruck vorbereiten will, sollte bereits jetzt tätig werden.